Die Sonne ist bekannt dafür, doch auch die Erde hat in Sachen Wärme und Strom etwas zu bieten. Geothermie leistet einen wichtigen Beitrag zur klimaschonenden Energieversorgung. In der Schweiz gibt es spannende neue Projekte.
Das Vorzeigeprojekt liegt unauffällig hinter ein paar Bäumen versteckt. Den Besucherinnen und Besuchern im benachbarten Park der Fondation Beyeler fällt die Geothermieanlage Riehen (BS) bestimmt nicht auf. Sie ist seit nunmehr 28 Jahren zuverlässig in Betrieb.
Der Wärmeverbund Riehen, der die Geothermieanlage betreibt, liefert Wärme für mehr als 9'000 Einwohnerinnen und Einwohner. Verlässlich und unspektakulär. «Die Anlage ist im Betrieb absolut unkritisch», erklärt Geschäftsführer Matthias Meier. Der Untergrund als Wärmequelle sei «konstant ergiebig» und «sehr stabil». Bei der Inbetriebnahme 1994 war das Wasser, das aus einer Tiefe von 1547 Metern hochgepumpt wird, 64 Grad warm, heute misst es 67 Grad.
Der Begriff Geothermie bezeichnet die technische Nutzung von im Untergrund gespeicherter Wärme. Je tiefer man diese Wärme erschliesst, desto höher ist die nutzbare Temperatur. Dabei werden drei grundsätzliche Nutzungsarten unterschieden:
Nahe der Erdoberfläche kann Wärmeenergie dem Erdreich oder Grundwasser entzogen, mittels Wärmepumpen auf die richtige Temperatur gebracht und zum Heizen von Gebäuden genutzt werden – diese «untiefe Geothermie» bis auf eine Tiefe von ca. 500 Metern ist in der Schweiz sehr verbreitet.
In grösseren Tiefen können wärmere Grundwasservorkommen ab circa 30 Grad direkt, das heisst ohne Wärmepumpe, genutzt werden. Thermalbäder profitieren auf diese Weise von warmem Wasser. Dieses kann auch als Quelle für ein Fernwärmenetz – so wie in Riehen – sowie für Prozesswärme oder für die Landwirtschaft eingesetzt werden.
Ab ca. 120 Grad kann das Wasser auch zur Produktion von Strom verwendet werden, wobei die Restwärme nach der Verstromung immer noch hervorragend für Heizzwecke geeignet ist. In der Schweiz braucht es dazu in der Regel Bohrungen auf rund 4 Kilometern Tiefe. Bislang besteht in der Schweiz kein Geothermie-Kraftwerk.
Wenn wir mit diesem Pilotprojekt zeigen, dass wir die seismischen Risiken im Griff haben und Energie produzieren können, wird das zu mehreren Folgeprojekten führen.
Ein Meilenstein für die Tiefengeothermie in der Schweiz ist die auf 2024 geplante Bohrung in Haute-Sorne (JU). Dort will die Firma Geo-Energie Suisse die Stärken ihrer neu entwickelten Technologie unter Beweis stellen. Geschäftsführer Peter Meier sagt: «Wenn wir mit diesem Pilotprojekt zeigen, dass wir die seismischen Risiken im Griff haben und Energie produzieren können, wird das zu mehreren Folgeprojekten führen.»
Die Geo-Energie Suisse AG ist ein Gemeinschaftsunternehmen verschiedener öffentlicher Energieversorgungsunternehmen, darunter jene der Städte Zürich, Bern und Basel. Das neue, mittlerweile patentierte Verfahren wurde im Nachgang der nicht erfolgreichen Bohrung entwickelt, bei der 2006 in Basel die Erde bebte. Die Methode nennt sich Multi-Etappen-Stimulation und soll ein Problem lösen, mit dem die Tiefengeothermie in der Schweiz zu kämpfen hat: Im Untergrund finden sich nicht immer ausreichend wasserführende Schichten. Durch die Injektion von Wasser sollen nun bestehende Risse im Gestein vergrössert werden, um es wasserdurchlässiger zu machen. Die Idee des neuen Verfahrens ist es, vorsichtig und etappenweise mehrere kleine Risssysteme an die Bohrungen anzuschliessen. Eine Grundlage für die Entwicklung dieser sanfteren Methode waren die Messdaten der nicht erfolgreichen Bohrungen in Basel und St. Gallen.
Dass das Multi-Etappen-Verfahren im Prinzip funktioniert, konnte Geo-Energie Suisse im Felslabor der ETH Zürich im Bedrettotal zeigen. In Haute-Sorne wird nun zuerst mit einer Probebohrung der Erdboden erkundet. Ganz allgemein gibt es in der Schweiz kaum detaillierte Informationen über die Beschaffenheit des Untergrunds und seine Eignung für geothermische Zwecke. «Dieses Unwissen ist einer der Gründe, warum die Geothermie in der Schweiz noch nicht weiter fortgeschritten ist», sagt Christian Minnig vom Bundesamt für Energie. Das finanzielle Risiko ist dadurch für manche Investoren schlicht zu hoch. Daher unterstützt der Bund Tiefengeothermie-Projekte, die das Wissen über den Untergrund erhöhen, mit Förderbeiträgen.
Dies hat die Investitionshürde merkbar gesenkt, wie die Vielzahl neuer Projekte zeigt. So wurden seit der Einführung der Erkundungsbeiträge im Jahr 2018 bereits zehn Projekten Förderungen im Umfang von insgesamt 189 Millionen Franken zugesichert. Weitere Projekte werden momentan evaluiert. Sie alle liefern wertvolle Antworten auf die Frage, welche Zukunft die tiefe Geothermie in der Schweiz tatsächlich hat. Theoretisch ist das Potenzial gross. «Die Geothermie kann mehrfach zum Netto-Null-Ziel der Schweiz beitragen», heisst es beim Branchenverband Geothermie-Schweiz. Dieser sieht die grössten Möglichkeiten im Wärmebereich. Mit Anlagen zur direkten Wärmenutzung liessen sich über 10 % des nationalen Bedarfs abdecken. Beim Strom aus Geothermie sind gemäss den Energieperspektiven des Bundes 2 TWh pro Jahr realistisch. Das entspricht zwei Dritteln der Energieproduktion des Kernkraftwerks Mühleberg und würde wie die Atomkraft unabhängig von Wetter und Jahreszeit zur Verfügung stehen.
Weil die Bohrtiefen und somit die Kosten für die Gewinnung von Heizwärme geringer sind als für die Stromproduktion, sind in den kommenden Jahren mehrheitlich Wärmeproduktionsanlagen geplant – von einem Familienbetrieb in Yverdon (VD), der seine Gewächshäuser beheizen will, bis zum Grossprojekt des Kantons Genf. Dieser hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2050 rund 30 % seines Wärmebedarfs mit Geothermie abzudecken. Dieser Optimismus wurde durch die Ergebnisse einer Feldstudie im vergangenen Jahr gestärkt. Dabei zeigte eine flächendeckende 3-D-Visualisierung bis auf eine Tiefe von 5'000 Metern, dass der Untergrund in Genf viel zerklüfteter ist als erwartet. Dies erhöht die Wahrscheinlichkeit stark, heisses Wasser in grossen Mengen gewinnen zu können.
Mit Gegenwind hatte die Geothermie in Genf bisher kaum zu kämpfen. So wenig wie in Riehen. Dort laufen zurzeit die Vorbereitungen für eine zusätzliche Anlage. Mit dem Projekt «geo2riehen» reagiere man «auf das wachsende Bedürfnis der Bevölkerung nach klimafreundlicher Fernwärme», sagt Matthias Meier vom Wärmeverbund Riehen. Die Unterstützung für das Projekt sei breit, das habe sich im Grossraum Basel an zahlreichen Informations- und Dialogveranstaltungen gezeigt.