Die Tiefengeothermie hat in der Schweiz Potenzial – sie könnte bei der Energiewende eine wichtige Rolle spielen. Zurzeit läuft im Jura ein Pilotprojekt mit einem schonenderen Verfahren. Der Versuch soll zeigen, wie sich damit im grossen Stil Strom produzieren lässt.
Das Geothermie-Pilotprojekt im Jura: Eindrücke vom Bohrplatz und Experteninterviews.
Das Interesse ist gross am Geothermie-Projekt von Haute-Sorne JU, denn in der westlich von Delémont gelegenen Gemeinde geht es um viel. Am Standort in Glovelier wurde im vergangenen Sommer mehr als 4000 Meter tief in den Untergrund gebohrt. Wenn alles gut läuft, könnte hier 2029 ein Geothermie-Kraftwerk ans Netz gehen und Strom für etwa 6000 Haushalte produzieren – eine Schweizer Premiere.
Der Bund unterstützt das Vorhaben in Haute-Sorne mit bis zu 90 Millionen Franken, schliesslich ist die Tiefengeothermie in seiner Energiestrategie wichtig. Sie soll in der Schweiz ab 2050 jährlich rund zwei Terawattstunden Strom produzieren. Das entspricht zwei Dritteln des AKW Mühleberg, das 2019 vom Netz ging. «Die Tiefengeothermie ermöglicht es, das Angebot an erneuerbaren Energien zu vervollständigen. Sie ist eine Kandidatin für den Ersatz der Kernenergie», sagt Nicole Lupi, Geothermie-Verantwortliche des Bundesamts für Energie BFE.
In Haute-Sorne sollen auch die Stärken einer neuen Methode gezeigt werden, um bei der Bevölkerung Vertrauen zu schaffen. Zwei Geothermie-Vorhaben mussten bereits abgebrochen werden, weil diese die Erde beben liessen, 2006 in Basel und 2013 in St. Gallen. Die neue Multi-Etappen-Stimulation soll Erdbeben vermeiden (siehe Grafik). Entwickelt wurde das Verfahren von Geo-Energie Suisse. Die Gesellschaft treibt das Projekt in Haute-Sorne voran. Geo-Energie Suisse gehört verschiedenen öffentlichen Energieversorgungsunternehmen, darunter die Stadtwerke von Zürich, Bern und Basel.
Bei unserem Besuch in Glovelier, einem der zur Gemeinde Haute-Sorne fusionierten Dörfer, sind die Bohrarbeiten seit einigen Tagen abgeschlossen. Peter Meier, der CEO von Geo-Energie Suisse, zieht eine positive Bilanz. Es kam zu keinen grösseren Überraschungen. Zwar war die Salzschicht, welche es zu durchstossen galt, mächtiger als gedacht. Doch bei rund 2200 Metern Tiefe stiess man ins kristalline Sockelgestein vor. Diese Schichten aus Gneis und Granit werden für geothermische Nutzung benötigt.
Das Unterfangen passt in Haute-Sorne allerdings nicht allen. Kurz nach dem Bohrstart im Mai spritzten rund hundert Personen Gülle auf das Gelände. Zuvor wurde bereits ein Rekurs vor Bundesgericht abgelehnt und eine kantonale Initiative für ungültig erklärt. Als der Kanton Jura nach diesen Entscheiden 2022 grünes Licht für die Bohrung gab, verstärkten sich die Proteste. Dabei hatte alles in Minne angefangen. 2012 schaute sich Geo-Energie Suisse 130 Bohrstandorte in der Schweiz an. Fünf davon wurden näher geprüft. 2014 fiel die Entscheidung für Glovelier, unter anderem deshalb, weil Geo-Energie Suisse von der Gemeinde beim Kauf von geeignetem Land unterstützt wurde.
Peter Meier ist nach wie vor optimistisch. Die Situation habe sich mittlerweile entspannt. Die an die Wand gemalten Horrorszenarien seien nicht eingetreten. Es wurde beispielsweise befürchtet, dass durch Lecks gefährliche Chemikalien austreten und das Grundwasser verschmutzen könnten. Beklagt wurde zudem der grosse Wasserverbrauch.
Fachfrau Nicole Lupi entkräftet diese Befürchtungen: Weder bei den Bohrungen noch im Betrieb würden giftige Stoffe eingesetzt. Bei den Arbeiten im Untergrund brauche es zwar zum Teil viel Wasser, doch im Betrieb sei der Wasserverbrauch gering, da das System mit einem geschlossenen Kreislauf arbeite. Nicht einverstanden ist Nicole Lupi auch mit dem Argument, der Jura würde als «Versuchslabor» missbraucht. «Die Multi-Etappen-Stimulation hat sich bewährt, die Technik wurde mit Erfolg in den USA eingesetzt.»
Tatsächlich produziert in Nevada seit November 2023 ein Geothermie-Kraftwerk nach gleichem Zuschnitt Strom für Google. Im Auftrag des Technologieunternehmens wurde die Geothermie-Anlage vom Start-up Fervo Energy gebaut. Geo-Energie Suisse arbeitet mit diesem Unternehmen zusammen. Mit dem in der Schweiz patentierten Verfahren wurde in Nevada das Riss-System im harten Felsen in mehreren Schritten mit Wasserdruck stimuliert – und das gelang ohne grosse Erschütterungen.
Im Besucherpavillon von Glovelier rollt Peter Meier einen mehrere Meter langen Plan aus. Dieser dokumentiert die abgeschlossene Bohrung und zeigt, wie der Untergrund geschichtet ist – vom Malmkalk nahe der Oberfläche bis zum Kristallingestein in der Tiefe. Solch präzise Informationen sind neu. Bis anhin gab es im Jurabogen keine Bohrung, die so tief hinabreicht. In den geologischen Analysen deutet vorerst nichts auf Störungszonen hin. Solche könnten beim nächsten Projektschritt zum Problem werden.
Anfang 2025 sollen – begleitet von seismischen Messungen – am Ende des Bohrlochs Tests mit der neuen von Geo-Energie Suisse entwickelten Stimulationsmethode durchgeführt werden. Erst dann wird sich definitiv zeigen, ob es auch im Schweizer Jura möglich ist, das Gestein wasserdurchlässig zu machen, ohne dass die Erde bebt.
Für die Zukunft des Pilotprojekts sind Tests in 4000 Metern Tiefe zentral, denn erst danach wird Geo-Energie Suisse in der Lage sein, die Risiken präzise einzuschätzen. Diese Risikoanalyse soll bis Mitte 2025 abgeschlossen sein und wird danach von einem unabhängigen Expertenteam begutachtet. Über die Zukunft des Vorhabens entscheidet dann die Regierung des Kantons Jura. Erst dann kann es weitergehen. 2026 soll am gleichen Standort ein zweites Mal gebohrt werden. Danach wird das Gestein stimuliert, und erst dann ist der Kreislauf komplett.
Auch die Investoren von Geo-Energie Suisse müssen beschliessen, ob sie das Geothermie-Projekt von Haute-Sorne weiterführen wollen. Ausschlaggebend dafür ist, ob sich das geplante Geothermie-Kraftwerk kostendeckend betreiben lässt. Das hängt nicht zuletzt von der Menge und der Temperatur des Wassers in der Tiefe ab. Es muss weit über 100 Grad Celsius heiss sein. Die Anlage in Haute-Sorne profitiert noch von der Einspeisevergütung (KEV). Doch künftig wird die Tiefengeothermie wirtschaftlich erst interessant, wenn man sie doppelt nutzen kann. Neben Strom lässt sich damit auch Fernwärme zum Heizen produzieren. Doch dafür müssen Anlagen möglichst in der Nähe einer Stadt gebaut werden.
Das Vorhaben in Haute-Sorne ist kostspielig, das Kraftwerk eingerechnet sind Investitionen von 150 Millionen Franken geplant. Doch gemäss den Vorstellungen von Geo-Energie Suisse soll die Anlage im Jura erst der Anfang sein. «Dieses Projekt lässt sich anderswo in der Schweiz replizieren. Darum stecken wir auch so viel Geld und Energie rein», sagt Peter Meier. Klar aber ist: Der Weg ist noch lang – kein Sprint, sondern ein Marathonlauf.