La Brévine (NE) ist für seine Rekordkälte bekannt, macht nun aber mit Wärme auf sich aufmerksam: Die meisten Häuser sind an einen Wärmeverbund angeschlossen und werden mit Holz aus der Region beheizt.
Kälte wird hier richtiggehend zelebriert. «Sibirien der Schweiz» nennt sich die kleine Gemeinde stolz. Im Dorfzentrum von La Brévine (NE) weisen farbige Schilder den Weg zum historischen Ort – zur Messstation, die den Schweizer Kälterekord anzeigt: minus 41,8 Grad Celsius! Kein Wunder, ist im kältesten Dorf des Landes auch Heizen Thema. Die Art, wie die Menschen hier ihre Häuser warmhalten und ihr Badewasser aufbereiten, ist bemerkenswert: Rund 85 % der Gebäude sind an ein Wärmenetz angeschlossen. Die Fernheizanlage mit ihrer Holzschnitzelfeuerung und einem Netz von 2,6 Kilometer extra dick isolierten Rohrleitungen wurde im Mai 2017 offiziell eröffnet.
Auch im Haus von Monique und Marcel Brandt unweit des Dorfzentrums sind Kälte und Heizen ein Thema. Das zweistöckige Haus mit Baujahr 1896 hat schon diverse Umbauphasen erlebt.
Im Keller ist die Schnittstelle zum Fernwärmenetz eingebaut, die sogenannte Wärmeübergabestation. In einem anderen der vielen Räume, wo sich früher drei Heizöltanks befanden, werden heute Gartengeräte aufbewahrt – fein säuberlich aufgereiht. Absolut zuverlässig sei das System und vom Komfort her top. Immer genügend warm, kein Heizöl mehr bestellen, keinen Kaminfeger mehr aufbieten.
Auf dem Esstisch ihrer grosszügigen Wohnküche breitet Monique Brandt Unterlagen zur neuen Wärmequelle aus. Auf der Jahresabrechnung sieht man, wie eine Fernwärmeabrechnung zustande kommt. Da gibt es einerseits einen Basisbetrag. Er wird auch fällig, wenn ein Haus nur sehr wenig oder gar nicht beheizt wird. Die Brandts hingegen liegen als Dauerbewohner weit über diesem Minimalbetrag. Sie bezahlen pro bezogene Kilowattstunde Wärme einen Preis von 16.8 Rappen. Die Ausgaben für den Jahresverbrauch fallen damit etwas höher aus als früher fürs Füllen der Öltanks. Man dürfe diese Kosten aber nicht einfach so miteinander vergleichen, erklärt Monique Brandt. Eine neue Ölheizung für ihr Haus hätte gegen 30'000 Franken gekostet. Eine Investition, die dann über die Lebensdauer von rund 20 Jahren zu amortisieren wäre.
Auch wer mit Fernwärme heizen will, muss allerdings zuerst investieren. Im Fall der Familie Brandt hat der Anschluss ans Netz 8'640 Franken gekostet, die Hausinstallation 12'500 Franken. Diese Investition reicht nicht bloss für zwei Jahrzehnte, wie bei einer Ölheizung, sondern ist eine langfristige Investition.
Frédéric Cabré, ein erfolgreicher Unternehmer, ist einer der Köpfe hinter dem Fernwärmeprojekt und Präsident der Genossenschaft, die den Holzwärmeverbund realisiert hat, der Société coopérative de chauffage à distance au bois de La Brévine. 2009 suchte die Gemeinde nach Ersatz für verschiedene in die Jahre gekommenen Ölheizungen in öffentlichen Gebäuden. Zur selben Zeit plante auch die Dorfkäserei eine Modernisierung. Als dann eine Umfrage ergab, dass sich auch viele Private eine Sanierung ihrer Heizungen überlegten, war klar: In La Brévine existiert das Potenzial für einen Wärmeverbund. Ein riesiger Heizkessel verbrennt pro Jahr 4'000 Kubikmeter Holzschnitzel. Wie die Wärme dann in die Haushalte gelangt, zeigt ein Besuch im «Sibirien der Schweiz».
Dass heute die überwiegende Mehrheit der Häuser ans Netz angeschlossen ist, ist laut Frédéric Cabré einer Kombination von Idealismus und Vernunft zu verdanken. Dazu kommt, dass die Gemeinde mit ihren 623 Einwohnerinnen und Einwohnern die Zeichen der Zeit zu lesen weiss. Vielen Privaten war klar, dass sie ihre alten Heizungen demnächst austauschen mussten. Öl aber kam nicht mehr infrage. Einerseits weil das Dorf direkt auf einer Grundwasserschicht gebaut ist. Da darf es, um das Trinkwasser zu schützen, keine Unfälle mit Öltanks geben. Andererseits dürfen im Kanton Neuenburg alte Ölheizungen faktisch nicht mehr durch neue ersetzt werden, seit das neue Energiegesetz in Kraft ist.
Womit das Fernwärmenetz geheizt wird, ist auf den ersten Blick klar: Vor der Heizzentrale stehen Stapel von Baumstämmen. Haushoch. Es sind vor allem Tannen, die hier eine Brennstoffreserve für mehrere Monate bilden. Holz minderwertiger Qualität, das hier vor Ort zu Schnitzeln verarbeitet wird. Es darf, dazu hat sich die Genossenschaft verpflichtet, nur aus einem Umkreis von 15 Kilometern stammen. Die 300'000 Liter Heizöl, die früher Jahr für Jahr ins Dorf gekarrt worden seien, hätten der lokalen Wirtschaft gar nichts gebracht. Die Fernwärme hingegen habe vor Ort rechnerisch 1.8 Arbeitsplätze geschaffen.
Wer sich von Anfang an für einen Anschluss ans Netz entschied, erhielt eine Vergünstigung. Und auch wer vertraglich vereinbart, seine Heizung in fünf oder zehn Jahren umzurüsten, profitiert. Eine Staffelung, die den Bedürfnissen der Hauseigentümer und Hauseigentümerinnen zweifellos entgegenkommt. Alle Kundinnen und Kunden gehören selbst der Genossenschaft an und haben je eine Stimme – private Hausbesitzerinnen und Hausbesitzer ebenso wie die beiden mit Abstand grössten Wärmebezüger, die Käserei und die Gemeinde. Die Gemeinde hat die Baukosten für das Gebäude der Heizzentrale vorgeschossen und mit der Genossenschaft einen Mietkaufvertrag bis 2049 abgeschlossen. Die Fernwärmeanlage in eigener Regie betreiben wollte die Gemeinde nicht, denn für die Baukosten von total 5.9 Millionen Franken hätte sie sich allzu stark verschulden müssen. Nach den Vorstellungen des VFS sollten bis 2050 auch in der Schweiz knapp 40 % möglich sein. Die meisten grossen und auch viele kleinere Städte bauen die Fernwärme gegenwärtig aus – und Dörfer wie La Brévine.